Mara

Mara hat das Sofa erobert

Mara hat das Sofa erobert

„Fräulein Sonnenschein“ – geballte Fröhlichkeit auf drei Beinen

13 Monate nach Leas Tod beschäftigte ich mich im Mai 2014 wieder einmal mit der Frage, ob es gut für Bruno ist, wenn er eine neue Hundefreundin an seiner Seite hat. Zwar hatte ich das Gefühl, er genießt hier die „Alleinherrschaft“, aber manchmal wünschte ich ihm, daß er einfach mit einer Freundin im Garten spielen und toben kann, während ich arbeite.

Immer mal wieder hatte ich in der ganzen Zeit im Internet gestöbert, doch das Gefühl hatte bisher nie wirklich gestimmt.

An einem Wochenende tummelte ich mich mal wieder auf der Seite des Gütersloher Tierheims und fand eine 9 Monate alte Mischlingshündin, die krank war. Sie hatte ständig geschwollene Lymphknoten, geschwollene Pfoten, und immer wieder Fieberschübe. Über die Lebenserwartung dieser kleinen Hündin traute man sich erst gar keine Auskunft zu geben. Sie war in ständiger tierärztlicher Behandlung, wurde auch schon in der Uniklinik Gießen vorgestellt.

Ich besuchte Nele in der Pflegestelle und verlor sofort mein Herz. Ängstlich schmiegte sie sich an ihr Pflegefrauchen und wollte mit mir nicht wirklich was zu tun haben. Frau Z. hatte schon viel mit Nele durchgemacht und liebte sie sehr.

Am nächsten Tag setzte ich mich mit dem Gütersloher Tierheim in Verbindung und fuhr abends dort hin, um den Vertrag für Nele zu unterschreiben. Als Frau A. mir dann mitteilte, daß Frau Z. sich entschieden habe, Nele zu behalten, brach für mich eine Welt zusammen. Weinend fuhr ich nach Hause – es gibt kaum Worte für diese Enttäuschung. Allerdings konnte ich Frau Z. sehr gut verstehen, und heute bin ich ihr sehr dankbar für diese Entscheidung. Aber das konnte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen.

Am selben Abend fand ich dann bei der Hundenothilfe OWL eine weitere Hündin, die mich interessierte. Leider erhielt ich auch dort die Nachricht, daß das Hundemädchen schon so gut wie vermittelt war.

Halbherzig und fast schon frustriert suchte ich auf sämtlichen Seiten nach Hunde-„Notfellen“ und verschickte etliche Anfragen per e-Mail.

Eine Pflegestelle antwortete prompt. Eine kleine ängstliche Hündin aus Spanien, jetzt im Ruhrgebiet, suchte ein Zuhause.

Ich dachte, daß sie ganz gut mit Bruno harmonieren könnte, war allerdings noch nicht ganz überzeugt. So richtig sprang der Funke nicht über, wie ich es bei meinen anderen Tieren bisher kannte.

Frau K. war zum Glück etwas hartnäckig und antwortete immer recht schnell auf meine E-Mails. Sie bot an, mich einmal „ganz unverbindlich“ zu besuchen und die Hündin mitzubringen, damit ich sie kennenlernen konnte. Ich willigte ein, hatte aber weiterhin noch Rest-Zweifel.

Wir vereinbarten für den kommenden Samstag einen Termin, und sie kündigte an, noch eine weitere Hündin mitzubringen.

Mara (damals „Tushi“) hatte ihr rechtes Vorderbein verloren, sollte aber damit gut zurecht kommen.

Mara nutzt jeden Moment zum Kuscheln

Mara nutzt jeden Moment zum Kuscheln

Bevor Bruno kam und ich mit ihm dann diese schlimme Geschichte erlebt habe, hätte ich mir niemals vorstellen können, mit einem dreibeinigen Hund zu leben. Heute sehe ich seine Behinderung nicht einmal mehr, und für mich ist er so ein normaler Hund, daß ich jedesmal verwundert denke: „Ach ja, da war doch was…“, wenn mich Menschen darauf ansprechen.

Wenn ich aber eines wirklich niemals wollte, dann war es ein Hund, dessen Vorderbein amputiert ist. „Das muß noch viel anstrengender sein als hinten amputiert, und bei dem, was wir so unternehmen, wird das ein vorne amputierter Hund nicht leisten können“, war meine tiefste Überzeugung.

Frau K. brachte beide Tiere mit. Schnell war klar, daß die Hündin, für die ich mich zunächst interessiert hatte, auf keinen Fall bei uns bleiben wollte. „Das ist untrennbar“, dachte ich, „wenn sie hierbleiben muß, wird sie sterben vor Kummer.“ Sie hing an Frau K. mit ihrer ganzen Liebe und wich nicht von ihrem Schoß.

Ganz behutsam näherte sich Mara immer mehr dem Wohnzimmer, in dem wir saßen.

Unendlich liebevoll schleckte sie mir durch´s Gesicht, als wolle sie sagen: „Schau mal, ich suche auch ein neues Zuhause, sieh mich doch einfach mal an.“

Sie war so vorsichtig, unaufdringlich und fröhlich, daß ich völlig verwundert war. In Rumänien hatte sie allein auf der Straße gelebt, hatte Welpen und war in die Hände von Tierfängern geraten. Mara konnte ihnen aber entkommen und hat sich dann das rechte Vorderbein so schwer verletzt, daß es nicht mehr zu retten war. Noch dort wurde es amputiert, berichtete Frau K.

Die sinnvollste Beschäftigung bei Dauerregen

Die sinnvollste Beschäftigung bei Dauerregen

Mara war zauberhaft. Aus der Pflegestelle kannte sie das Zusammenleben mit Katzen und machte einen völlig unkomplizierten Eindruck. Sie ging inzwischen ohne Leine spazieren, war stubenrein und hatte keine großen Ängste.

Ich hatte Bedenken. Ob sie große Runden spazieren gehen und mit Bruno spielen konnte? Das Laufen schien sie sehr anzustrengen. Frau K. versuchte, mich zu beruhigen, und wir vereinbarten, daß ich es mir mit Mara ein paar Tage ansehe und dann entscheide, ob ich sie behalte.

Während wir am Nachmittag durch den Wald liefen, beobachtete ich sie eingehend. Die lange Autofahrt vom Ruhrgebiet aus hatte sie sehr mitgenommen, ihr war immer noch übel. Zudem war es sehr warm, und alles war fremd.

Ich wollte auf keinen Fall mein Herz an diesen kleinen Hund verlieren, bevor ich nicht ganz sicher war, daß wir zusammen bleiben würden.

„Nein“, dachte ich immer wieder, „es paßt doch gar nicht. Bruno mit den langen Beinen und Mara mit den kurzen – wie soll ich da langfristig beiden gerecht werden? Ich wollte diese kleine Hündin auf keinen Fall überfordern, und Bruno brauchte hin und wieder seine 2-Stunden-Spaziergänge, sonst war er nicht zufrieden.

neue Freunde

neue Freunde

Die ganze Nacht war ich gedanklich damit beschäftigt. Am nächsten Morgen dachte ich, ich muß jetzt ganz schnell eine Entscheidung treffen, bevor das in einer Katastrophe endet und ich da nicht mehr ´rauskomme. So schrieb ich Frau K. eine Mail und bat sie, Mara schnellstmöglich wieder abzuholen.

Frau K. versuchte noch einmal, mich davon zu überzeugen, daß Mara durchaus in der Lage ist, längere Strecken zu laufen – was ich nicht glauben konnte. Abholen könne sie Mara allerdings erst in zwei Tagen.

„Na das war ja eine blöde Idee“, dachte ich, „mich auf sowas einzulassen. Der arme Hund, was soll er denn denken, wenn er in zwei Tagen wieder zurück muß…“ Diese kleine Maus, die sich alle Mühe gab, mir zu gefallen, ahnte hoffentlich nichts von meinen Gedanken!

Mittags liefen wir eine gute Stunde durch den Wald, und da ich ein gutes Gefühl dabei hatte, leinte ich Mara ab. Ohne Probleme folgte sie uns und war an allem interessiert. „Meine Güte“, dachte ich, „das ist ja nicht zu glauben! Ein rumänischer Straßenhund, der weder traumatisiert ist noch in irgendeiner Weise ängstlich oder unsicher – er läuft mit, als würde er schon ewig zu uns gehören! Ich war völlig überrascht – das kannte ich bisher überhaupt nicht.

Kleiner Snack auf dem Sofa - ob das erlaubt ist...?

Kleiner Snack auf dem Sofa – ob das erlaubt ist…?

Nach dem Abendspaziergang ließ ich die Hunde in den Garten. Ich wollte noch schnell die Blumen gießen und traute meinen Augen nicht, als Mara plötzlich Bruno zum Spielen aufforderte.

Wie der Blitz sausten die beiden durch den Garten – ich war fassungslos!

Immer und immer wieder rannten sie ihre Runden – mal jagte Mara Bruno, dann wieder umgekehrt. Mit Tränen in den Augen beobachtete ich die beiden, wie sie ihre Lebensfreude in diesem Moment ungehemmt auslebten. Es war unglaublich, in welchem Tempo Mara über den Rasen schoß – wie ein kleiner Kugelblitz!

Bruno kannte es bis dahin überhaupt nicht, in dieser Art und Weise mit einem kleinen Hund zu spielen, und er genoß es sichtlich. Wie unendlich glücklich beide waren!

Wenn Mara verschnaufen mußte, legte sie sich kurz unter den Liegestuhl aus Holz, der im Garten stand, und nach 30 Sekunden ging es weiter. Es gibt keine Worte für das, was die beiden der ganzen Welt in diesem Augenblick mitteilten. Die Freude sprühte aus ihren Augen, und somit war klar, daß sich unsere Wege niemals mehr trennen würden.

Heute ist Mara 12 Tage bei uns, und natürlich hat sie sich längst in unser Herz geschlichen. Bei Bruno hat sie Narrenfreiheit – er überläßt ihr seine Knochen, seine Lieblingsplätze, das Sofa und das Bett. Er spielt mit ihr mit einer Sanftheit, die ich noch nie zuvor bei ihm gesehen habe – und nicht nur er ist unendlich glücklich mit seiner neuen Freundin.

Meine Katze Maya teilt mit Mara ebenso selbstverständlich das Bett, wie sie es mit Lea geteilt hat, und findet es völlig in Ordnung, daß sie bei uns eingezogen ist.

Mara und Maya auf dem Bett

Mara und Maya auf dem Bett

Ich kann nur allen Menschen Mut machen, es einfach auszuprobieren, mit einem behinderten Hund zu leben – es ist ein riesengroßes Geschenk, zu sehen, was tagtäglich von ihnen zurückkommt.

Und ich finde kaum Worte dafür, zu beschreiben, wie unendlich glücklich mich meine dreibeinigen Freunde jede Sekunde meines Lebens machen. Niemals würde ich sie  gegen irgendetwas eintauschen wollen!

 

Aktuelles:

Mir fiel seit geraumer Zeit auf, daß Mara seltsam läuft. Es versteht sich von selbst, daß ein amputierter Hund einen anderen Bewegungsablauf hat als ein Hund mit vier Beinen, doch das war es nicht. Ich hatte ein merkwürdiges Gefühl.

Am 06. Juli 2014 ließ ich sie von einem Orthopäden untersuchen und röntgen. Die Diagnose war erschütternd:

Sie hat beidseitig eine schwere Hüftgelenksdysplasie und schon jetzt, mit gerade mal zwei Jahren, Arthrosen in beiden Hüftgelenken. Beide Knie sind nicht in Ordnung, die Kniescheibe rutscht immer mal wieder raus. Außerdem gibt es ein Problem mit dem Ellbogen – hier haben wir uns das Röntgen dann geschenkt.

Völlig geschockt fuhr ich nach Hause. Der arme Hund! Hatte er nicht schon genug durchgemacht?

Inzwischen bekommt Mara homöopathische Unterstützung und eine Nahrungsergänzung, die den Knorpelstoffwechsel optimiert. Sollte sie irgendwann Schmerzmittel benötigen, wird sie diese natürlich bekommen.

Der Tierarzt riet mir, sie langsam im gleichmäßigen Tempo am Fahrrad laufen zu lassen, jegliches Toben und Jagen zu vermeiden. Mir ist allerdings völlig unklar, wie ein dreibeiniger Hund neben dem Fahrrad herlaufen soll…?

Sie soll toben, sie soll jagen und spielen und ihrer ganze Lebensfreude Ausdruck verleihen, denn sie soll LEBEN! Leben wie ein fröhlicher Hund – und wenn dadurch dieses Leben ein bißchen weniger an Tagen oder Monaten oder gar Jahren hat, dann ist es eben so.

Aber sie hatte FREUDE, sie hatte SPASS, und sie war GLÜCKLICH – und nur das zählt!

2 Kommentare zu „Mara“

  • Kerstin Jankowski:

    Mit Tränen in den Augen schreibe ich jetzt diese Zeilen.

    Die Engel haben Ihnen die kleine Mara geschickt, und ich wünsche Ihnen ein langes, glückliches Zusammenleben.

    Ganz viele Grüße von der gesamten Familie Jankowski

  • Heide Hergenröther:

    Liebe Frau Siewert,
    das ist so unendlich schön zu lesen.
    Es ist immer wieder faszinierend, welche Wege manche Tiere gehen, um zu uns zu kommen.
    Ich wünsche Ihnen und ihrer Familie viel Sonnenschein und Liebe.
    Herzliche Grüße. Heide Hergenröther

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