Bruno

Bruno heute: glücklich neben seinem besten Freund Patch (links) und Lea

„Man wirft ein Leben nicht einfach weg, nur weil es ein bißchen beschädigt ist“

Pure Lebensfreude trotz Behinderung

Bruno fand ich zweijährig auf der Internetseite eines Tierheims. Durch einen früheren Unfall gehe er hinten links ein bißchen lahm, käme aber gut zurecht und habe keine Schmerzen, hieß es dort.

Ich griff zum Telefon und fragte nach, ob der Hund noch dort sei.

Die Pfegerin fiel aus allen Wolken, daß ich wirklich nach Bruno fragte, sei es doch das erste Mal, daß sich nach einem Jahr jemand für ihn interessiere.

Sie berichtete, daß Bruno als halbwüchsiger Hund einen Autounfall gehabt habe, bei dem zwei Lendenwirbel und der linke Oberschenkel gebrochen waren. Bei einer Operation an der Wirbelsäule seien Knochenteile der frakturierten Lendenwirbel entfernt worden, weil diese auf das Rückenmark gedrückt haben. Bruno sei wohlauf und ansonsten gesund.

Durch meine mobile Praxis bin ich viel unterwegs und habe gern meine Hunde bei mir. Außerdem liebe ich unendlich lange Spaziergänge in meiner freien Zeit. Da ich nicht wußte, inwieweit Bruno belastbar war, bat ich darum, zunächst die Röntgenbilder einsehen zu dürfen. Die Pfegerin war einverstanden und wollte dies in die Wege leiten.

Brunos Geschichte ging mir nicht aus dem Kopf.

Die Bilder kamen auch erst einmal nicht hier an. Immer wieder mußte ich mir die Fotos anschauen und fragte dann noch einmal nach den Aufnahmen, vereinbarte aber nun doch einen Termin, um den Hund kennen zu lernen.

Brunos Foto auf der Internetseite des Tierheims

Brunos Foto auf der Internetseite des Tierheims. So fand ich ihn.

Ich fuhr also Anfang Dezember in die Pflegestelle, wo Bruno mit einem Rottweilermischling, mehreren Katzen, einem Kleinkind und deren junger Mutter lebte. Er machte einen zunächst schüchternen, jedoch fröhlichen Eindruck.

Das linke Hinterbein belastete er gar nicht, er war auch sehr dünn. Die Pflegerin erklärte, man müsse wegen seiner Wirbelsäulenverletzungen gut auf sein Gewicht achten, doch Bruno habe keine Schmerzen, ich könne ihn auch neben dem Fahrrad herlaufen lassen. Zwar hatte ich bis dahin noch kein Röntgenbild gesehen, doch mein Bauchgefühl sagte mir etwas ganz anderes.

Ich wußte, daß ich diesen Hund haben mußte – egal, was die Röntgenaufnahmen zeigten.

Eine andere Stimme warnte mich zur Vorsicht, da ich Bruno stets an meiner Seite haben wollte und immer noch nicht wußte, was ich ihm bewegungstechnisch zumuten konnte.

Als dann nach Tagen die Bilder kamen, fuhr ich in die Tierärztliche Klinik Bielefeld und fragte meine Freundin (Tierärztin) um Rat. Sie warnte mich aufgrund der schweren Wirbelsäulenverletzungen eindringlich, diesen Hund zu mir zu nehmen, da Spätfolgen (Inkontinenz, Nervenschäden etc.) zu erwarten waren. Die Hüfte schien gut zu sein, zumindest war keine HD erkennbar.

Trotz Warnung meiner Freundin war es längst um mich geschehen! Ich vereinbarte mit Brunos Pflegerin, daß ich ihn zunächst auf Probe zu mir nehmen wollte, um mir selber ein Bild von seiner Behinderung zu machen. Also holte ich ihn am 09. Dezember 2008 ab.

Bruno kam und war sofort zu Hause – unglaublich! Vorsichtig machten wir gemeinsame Spaziergänge.  Er schien nicht viel zu kennen, aber er genoß es sichtlich, sich in der Natur zu bewegen. Sein linkes Kniegelenk war fast völlig steif, das gesamte Hinterbein hatte kaum Muskulatur.

Immer wieder fragte ich mich, was wirklich mit diesem Bein war. Die Röntgenbilder zeigten völlig intakte Hüftgelenke, doch anhand seiner Bewegungen hatte ich einen furchtbaren Verdacht. „Also, wenn ich´s nicht besser wüßte, würde ich sagen, daß da die Hüfte ausgekugelt ist“, sagte ich zu einer anderen Freundin. Doch die meinte, daß Bruno vermutlich nur eine lange Physio-Therapie brauche, und daß mit der Zeit bestimmt eine Verbesserung möglich sei.

Ich wollte Gewißheit, schnellstmöglich – für Bruno und für mich!

Noch einmal fuhr ich in die Klinik Bielefeld und ließ Bruno von meiner Freundin untersuchen, die bereits die Röntgenbilder kannte. Sie war entsetzt über die Krepitation in der Hüfte und die Steifheit des Kniegelenks. Außerdem stellte sie fest, daß er  Muskelkontrakturen hatte und riet zu weiterer Diagnostik.

Nach Rücksprache mit dem Tierheim vereinbarte ich einen Untersuchungstermin in der Klinik in Duisburg-Kaiserberg. Dort war Bruno seinerzeit an der Wirbelsäule operiert worden, sie kannten ihn also.

Bruno wurde erneut geröntgt.

Alte Luxatio ossis femuris links mit hochgradiger Arthrose

Alte Luxatio ossis femuris links mit hochgradiger Arthrose

Als ich die Bilder sah, konnte ich nur noch schreien! – Sein linkes Hüftgelenk war wirklich luxiert (ausgekugelt). Die Tierärztin meinte, daß aufgrund der massiven Veränderungen dieser Zustand seit ca. einem Jahr(!!!) bestehe. Ich konnte das kaum glauben. Welch unendliches Leid, welch unendliche Schmerzen hatte dieser Hund seit einem Jahr ertragen! Und wie konnte es sein, daß Bruno trotz allem so freundlich und fröhlich war!?

Ich denke, daß wir alle uns nicht vorstellen können (und möchten), welch furchtbare Schmerz-Hölle dieses Tier durchlebt hatte!

Zustand nach Laminectomie L5/L6; 8. Lendenwirbel nicht zum Kreuzbein verschmolzen

Zustand nach Laminectomie L5/L6; 8. Lendenwirbel nicht zum Kreuzbein verschmolzen

Nun mußte eine Entscheidung getroffen werden. Nach Diskussion mehrerer Möglichkeiten wurde beschlossen, das Bein zu amputieren. Da Bruno ein schlanker Hund ist und sich über der alten Wirbelsäulenverletzung eine stabile knöcherne Brücke gebildet hatte, konnte ihm dies zugemutet werden.

Als ich ihn am nächsten Tag aus der Klinik abholte, wirkte er sehr fröhlich. Erst nach fünf Tagen hat er begriffen, daß sein linkes Hinterbein fehlt. Er lag völlig apathisch in seinem Korb, sah immer wieder auf die große Wunde und wirkte wie tot.

Unglaubliche Schuldgefühle plagten mich. War das richtig?

Was hatte ich ihm nach allem, was er bisher erlebt hatte, nun auch noch angetan? Konnte diese kleine Seele überhaupt mit einem weiteren Trauma fertig werden?

Bruno bekam ein homöopathisches Trauma-Mittel und erholte sich sichtlich. Nach vier Wochen wagte ich erstmalig, ihn abzuleinen. Die große Wunde war dank Homöopathie komplikationslos verheilt.

Bruno rannte über die schneebedeckten Felder, lebte seine ganze Lebensfreude aus und konnte kaum fassen, daß er nun endlich keine Schmerzen mehr hatte. Immer wieder schaute er sich verwundert nach links hinten um, um dann weiter „Gas zu geben“, bis er irgendwann völlig müde und erschöpft von der ungewohnten Bewegung zu mir zurückkehrte. Wie unendlich glücklich er war! Welch unendliche Freude aus seinen Augen sprühte! Nun konnte sein neues Leben beginnen. Endlich!!!

Bruno 3 Tage nach der Amputation

Bruno 3 Tage nach der Amputation

In den nächsten Wochen fuhr ich zu einer Tierkommunikatorin (www.tierfluesterer.de). Sie sollte mir sagen, was Bruno wirklich erlebt hatte.

Bruno berichtete, daß es diesen Autounfall wirklich gegeben habe. Er sei auf einem Hof mit Pferden aufgewachsen, habe dort einen älteren Hundefreund gehabt, mit dem er hin und wieder „Ausflüge“ unternommen habe – natürlich ohne deren Menschen. Bei einem dieser Ausflüge wurde er angefahren und so schwer verletzt, daß er sich fast nicht mehr bewegen konnte.

Viele Tage habe er irgendwo gelegen, hungrig und durstig, mit unsagbaren Schmerzen und ohne Schutz. Er habe Tautropfen von den Gräsern aufgenommen und so überleben können. Irgendwann haben ihn Spaziergänger gefunden und in ein Tierheim gebracht.

Nach der Wirbelsäulen-Operation in Duisburg kehrte er in dieses Tierheim zurück.

Aber er kam mit der Situation dort nicht zurecht. Er konnte weder das Trauma des Unfalls noch die Trennung von seinem Zuhause noch die furchtbaren Schmerzen aushalten. Und scheinbar suchte auch niemand nach ihm.

Bruno und sein Menschenfreund Norman - ein Herz und eine Seele

Bruno und sein Menschenfreund Norman – ein Herz und eine Seele

Bruno berichtete weiter, daß er in diesem Tierheim von anderen Hunden regelrecht gemobbt worden sei. Es muß dabei relativ bald zu einem weiteren Unfall gekommen sein, bei dem die linke Hüfte luxierte (es müssen schon ungeheure Kräfte auf ein Hüftgelenk einwirken, damit soetwas passieren kann, denn dieses Gelenk hält einiges aus).

Da nach dem Autounfall das linke Hinterbein gebrochen war und Bruno natürlich lahmte, wurde dieser weitere Unfall von den Tierheim-Mitarbeitern nicht bemerkt. Nur so ist es zu erklären, daß niemand mehr genauer hingesehen und diese Lahmheit nie mehr hinterfragt hatte. Vielleicht wäre er bis heute nicht weiter untersucht geschweige denn operiert worden, wenn nicht…???

Hin und wieder mal kommen alte Ängste hoch. Heißluftballons, Windräder, Schüsse, Gewitter und Silvesterknaller lassen ungefähr erahnen, was dieser Hund durchmachen mußte.

Ob eine Seele soetwas jemals ganz verarbeiten kann, ohne daß solche Dinge alles wieder wachrütteln?

Durch die Gabe eines homöopathischen Trauma-Mittels oder die Verabreichung von Bach-Blüten kann ich ihm schnell wieder daraus helfen. Menschen, die Bruno begegnen und nichts von seiner Vergangenheit wissen, sind unglaublich beeindruckt von seiner Lebensfreude und Fröhlichkeit, die weiterhin aus seinen Augen sprüht.

Ich denke, daß wir alle vor diesem kleinen Kerl nur den Hut ziehen können!

Bruno zeigt uns, daß dieses Leben lebenswert ist – auch mit Behinderungen. Und er zeigt uns, daß man hin und wieder mal genau hinsehen und manche Dinge auch mal hinterfragen muß.

Danke Bruno, daß ich mit Dir leben darf!